08. Dezember 2017

Heute wird es etwas mal etwas nachdenklicher, aber auch das gehört ja zur Adventszeit.
Der Auslöser für die schriftliche Niederlegung der folgenden Gedanken war das Ergebnis der letzten Bundestagswahl. Dem sind aber natürlich diverse andere Ereignisse vorangegangen - so unter anderem auch ein Gespräch in dem es um die Flüchtlingsproblematik ging. Eine etwa 70jährige Dame meinte in diesem Zusammenhang, man müsse ja heutzutage Angst haben, junge Mädchen oder Frauen aus dem Haus zu lassen. Auf die Rückfrage "Warum denn?" antwortete sie unerwarteterweise, aber sehr aufschlussreich: "Ja, warum eigentlich?" ...

Ungereimtheiten

Jeder Mensch ist ein Individuum mit ganz eigenen Interessen und Vorlieben. Der Eine isst gerne Schoko-Pudding und der Andere geht ins Fitness-Studio. Der Eine hört gerne Volksmusik und der Andere macht Break-Dance. Der Eine liest gerne und der Andere geht gerne radeln. Der Eine buddelt gerne in seinem Garten und der Andere geht gerne ins Kino.
Trotzdem werden wir alle ständig und überall in Kategorien eingeordnet und in Schubladen gesteckt - sei es, dass uns die Werbung "was für Frauen" anpreist, in den Medien von "der Generation X, Golf oder was-auch-immer" geredet oder im Beruf die eierlegende Wollmilchsau (aber genau die - wehe dem eierlegenden Wollmilchferkel!) gesucht wird.

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Hat nicht jeder ein Recht darauf, seine Persönlichkeit auszuleben und nach seinen Interessen und Vorlieben zu leben, solange er damit niemanden verletzt?
Frauen lieben Männer und Männer lieben Frauen: gut! Manche Frauen lieben andere Frauen und manche Männer andere Männer: schlecht?

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Klar, unsere Gesellschaft braucht Nachwuchs. Aber werden wirklich mehr Kinder geboren, wenn wir die gleichgeschlechtliche Liebe schlechter stellen, als die Liebe zwischen Frau und Mann?

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Sind Frauen nur dann etwas "wert", wenn sie den Fortbestand der Gesellschaft sichern, indem sie Kinder gebären?
Manche Frauen können keine Kinder bekommen, manche Männer können keine zeugen. Manche möchten keine Kinder. Sind sie deswegen eigennützig? Erfüllen sie ihre Aufgabe in der Gesellschaft nicht?

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

"Meine Frau muss nicht arbeiten!" hieß es in den 50er-Jahren von den "Ernährern" der Gesellschaft. Die Frau "darf" auf Kosten ihres Mannes daheim bleiben und sich um Haushalt und Kinder kümmern. Und die Werbung preist ja seitdem immer mehr Hilfsmittel an, die der Hausfrau das Leben erleichtern - sofern der "Ernährer" ihr diese Hilfsmittel auch kauft.

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Heute dürfen die Mütter auch arbeiten - nein, sie dürfen nicht nur, sie sollen arbeiten! Die Kinder können ja solange in einer "Kindertagesstätte" abgegeben werden, wo sie von anderen Frauen betreut werden - die ihrerseits ihre Kinder in einer solchen Einrichtung abgeben ...

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Damit die Kinder, die ihre berufstätigen Eltern nur noch selten zu Gesicht bekommen, neben den Erzieherinnen und Lehrerinnen in Kita, Kindergarten und Grundschule nicht nur weibliche Bezugspersonen haben, sollen auch mehr Männer in "soziale" Berufe einsteigen. Aber wer will das schon, bei dem Gehalt? Als Zuverdienst für die Hausfrau und Mutter mag das ja noch gehen, aber für den "Ernährer" der Familie ist das zu wenig! So viel ist uns der Nachwuchs unserer Gesellschaft also wert!

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Mit deutscher Gründlichkeit begrüßen wir unsere Kinder mit Elterngeld, Herdprämie und Kindergeld. Wir bieten den Müttern die Möglichkeit, schnell wieder in den Beruf zurückzukehren und Karriere zu machen, indem wir das Elterngeld auf ein Jahr und maximal die Hälfte des vorigen Gehalts begrenzen. Mehr gibt's nicht! Ach ja, wenn sich Papa auch noch zwei Monate um seine Familie kümmert - meist in Form einer längeren Urlaubsreise, muss er dafür nur ungefähr auf die Hälfte seines Gehalts verzichten. Danach kann er seine Zeit wieder seinem Chef widmen und bis spät in die Nacht in Besprechungen sitzen, Wochenenden und Abende zugunsten des Betriebsklimas mit den Kollegen verbringen und den ganzen Ärger dann bei der Familie zuhause verdauen.

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Die Erziehung der Kinder und die Organisation des Haushalts kann er ja seiner - sowieso nur in Teilzeit arbeitenden - Frau überlassen. Und das ist die Lösung unses Nachwuchs-Problems? Man sollte meinen, dass wir vor diesem Hintergrund Familien, die aus anderen Ländern zu uns kommen und Kinder mitbringen, herzlich willkommen heissen. Aber tun wir das?

Warum denn nicht? Ja, warum eigentlich nicht?

Als die ersten Ausländer aus Italien, Griechenland, Spanien oder der Türkei als Gastarbeiter zu uns kamen, waren sie uns als Arbeitskräfte recht, um unsere Konjunktur voranzutreiben. Danach sollten sie wieder gehen. Doch viele blieben und heute leben sie, ihre Kinder und Enkel bei und mit uns. So ein bisschen haben wir uns daran wohl gewöhnt. Sind das die "guten" Ausländer?

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Italiener und Spanier sind in der Regel katholisch, Griechen immerhin orthodox - auf jeden Fall alle christlich und damit kein Angriff auf unsere hochgepriesene "christliche Leitkultur". Pizza und Pasta sind uns ja seit unserer Italien-Begeisterung in den 50er-Jahren sowieso nicht mehr fremd und an Paella und Gyros haben wir uns inzwischen auch gewöhnt.
Schwieriger war das mit den Türken, die ihren muslimischen Glauben mitgebracht haben.

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Heute kommen Flüchtlinge zu uns, meist traumatisiert und mit muslimischem Glauben. Viele von ihnen "bringen" uns nichts, sondern suchen Schutz, den sie in ihren Heimatländern nicht mehr finden. Haben sie kein Recht, von uns menschlich behandelt zu werden?

Warum denn nicht? Ja, warum eigentlich nicht?

Sie bringen ihre Probleme und manchmal auch die Konflikte aus ihren Heimatländern mit zu uns und brauchen eigentlich eine psychologische Betreuung. Macht sie das zu unmenschlichen Bestien, die kein Recht auf einen Aufenthalt in unserem schönen Land haben und sofort wieder zurückgeschickt werden müssen? Sind das die "bösen" Ausländer?

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Warum haben wir Vorbehalte gegenüber Fremden oder Menschen, die anders glauben, denken oder fühlen als wir? Haben wir davor Angst, dass sie unsere schöne Welt "kaputt" machen? Haben wir davor Angst, dass sich die Welt um uns ändert? Haben wir davor Angst, dass wir uns womöglich selber ändern müssen?

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Wir haben Angst vor dem Unbekannten. Das ist vermutlich ein natürlicher Trieb und war sicherlich für das Überleben in der Wildnis nicht unerheblich. Wer vor dem unbekannten Raubtier nicht flieht, weil er Angst hat, wird wahrscheinlich gefressen und wer die unbekannte Pflanze ohne Bedenken isst, überlebt den Tag möglicherweise auch nicht.
Inzwischen leben wir aber in einer Zivilisation und haben unsere Lebensweise daran angepasst. Wir fahren Auto, kaufen unser Essen im Supermarkt und müssen keine Begegnungen mit unbekannten wilden Tieren mehr fürchten. Aber unsere Instinkte haben wir scheinbar nicht an das Leben in der Zivilisation angepasst.

Warum denn nicht? Ja, warum eigentlich nicht?

Jeder hat doch ein sehr persönliches Schicksal: Die Eine ist arbeitslos, der Andere bekommt seine gewalttätigen Kinder nicht in den Griff und der Nächste kämpft mit einer schweren Krankheit. Da entstehen Fragen und es wird nach Antworten gesucht.
Ist es da nicht schön, wenn jemand mit einer einfachen Antwort kommt und eine ebenso einfache Lösung für unsere Probleme liefert? Davon läßt man sich doch gerne überzeugen und überläßt das anstrengende Nachdenken doch einfach anderen.

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Wenn wir ehrlich sind, wissen wir doch, dass uns keiner die "schöne, heile Welt" liefern kann, die er uns verspricht. Warum ziehen wir denn keine Lehren aus der Geschichte?

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Sehen wir das alles nur noch durch die rosa Brille, nach dem altbekannten (aber deswegen noch lange nicht korrekten) Motto: "Früher war alles besser!"? Wollen wir die "ollen Kamellen" nicht mehr hören - für uns ging ja schließlich alles gut aus. Kann es denn so schlimm gewesen sein?
Oder ist uns eine bunte Welt zu kompliziert und wir sehnen uns nach einem monochromen Schwarz-Weiß-Bild?

Warum denn? Ja, warum eigentlich?

Ich kann mir keinen Reim drauf machen!

Urs scribendi